Das Projekt glass_drops ist die Transormation des Haus Taut in Dahlewitz vom historisch bedeutsamen Wohnhaus zu einer Glasbläserei mit angeschlossenem Cafe und Nächtigungsmöglichkeiten für Mitarbeitende.
entstehung der form
Der Anbau soll einen Gegensatz zu Taut schaffen, aber keine Konkurrenz darstellen bzw. nicht mit Tauts Formen in Konflikt geraten. Aus diesem Grund war das Ziel des Anbaus, Bestandsteile zu erhalten und hinter dem Haupthaus zurücktreten, gleichzeitig aber einen Kontrast zu letzterem zu schaffen. Ähnlich wie im von Taut angestrebten Formalismus entsteht die Form letztlich aber aus der Nutzung. Diese erforderte zunächst einmal eine Erweiterung der Grundfläche. Hierbei wurden verschiedene Möglichkeiten durchgespielt:
Eine Spiegelung des Wirtschaftstrakts an dessen Längsseite wäre aufgrund des schmalen Grundstückes nach Norden unmöglich. Spiegelt man den Wirtschaftstrakt in die entgegengesetzte Richtung – eine Spiegelung an der Mittelachse des Hauses – entsteht eine Symmetrie, welche das Erscheinungsbild des Gebäudes gänzlich ändern würde, da Taut mit dem einseitigen Wirtschaftstrakt ebendiese Symmetrie verhinderte. Das Erscheinungsbild des Hauses würde sich ebenfalls gänzlich ändern, wenn die Viertelkreisform erweitert würde, denn durch eine einseitige Änderung ginge die Zuspitzung zum Garten und damit der von Taut gewollte Eindruck eines „Schiffes“, das sich in den Garten schiebt verloren. Eine gleichmäßige Erweiterung des Viertelkreises in beide Richtungen ließe einen zweigeteilten Anbau entstehen und wäre außerdem aufgrund des schmalen Grundstückes und noch mehr wegen des Wirtschaftstraktes nur schwer möglich. Im Falle einer punktsymmetrischen Spiegelung des Wirtschaftstraktes am Mittelpunkt des Haupthauses, sodass ein länglich kubischer Anbau südlich des Hauses in den Garten gerichtet entstünde, würde das neue Volumen wie eine gen Süden ausgerichtete Mauer den Garten verschatten.
Letztlich fiel die Entscheidung daher auf eine Spiegelung des Wirtschaftstrakts an dessen Rückseite, sodass ein neues, länglich kubisches Volumen in Richtung des Gartens entsteht.
Über der Spiegelung des Wirtschaftstraktes wird eine neue Form konzeptionell durch Glas gebildet, welches im flüssigen Zustand auf den vorderen und den hinteren Teil des Wirtschaftstraktes getropft wird. Daraus folgt auch der Name des Projekts: glass_drops.
Der erste Tropfen im hinteren Bereich nimmt die Kurve des Wohngebäudes auf und führt diese weiter. Der daraus resultierende Schwung führt sich über den ganzen Anbau weiter und geht weiter in den zweiten Tropfen über. Die weitergeführte Kurve stößt schließlich wieder ans Gebäude an.
Auf diese Weise ergibt sich die Form in gewisser Weise aus dem Bestandsgebäude, andererseits konkurriert sie damit. Während im Erdgeschoss bspw. nur die Räume zwischen dem Bestand gefüllt werden, kragt im Obergeschoss hingegen die neue Form darüber aus und „fließt“ bis zum Boden. Dennoch, im Sinne der Wahrung des Bestandes, ist der Anbau bewusst niedriger gehalten als das Bestandsgebäude. Einerseits dadurch, aber auch durch die elegante Schwingung bleibt von Weitem das in seiner Form so prägnante Bestandsgebäude weiterhin sichtbar und wird nicht vom Anbau verdeckt. Im Gegenteil, die Werkstatt schmiegt sich dem Anbau an. Außerdem wird das Zusammenspiel aus rund und eckig, wie es bereits im Bestandsgebäude von Bruno Taut angewandt wurde, ebenso fortgesetzt, indem die gerundeten Außenwände mit spitzwinkligen Wänden verbunden werden.
Die neue Form wird durch transparente Glasbausteine gebildet, welche sowohl horizontal als auch vertikal unterteilt sind. So werden stehende Glasbausteinelemente, welche aus je 9×16 Steinen bestehen, nebeneinander und aufeinander geschichtet und erschaffen so ein einzigartiges Erscheinungsbild, welches nach außen ebenso stark wie nach innen wirkt. In Verbindung mit dem Bestandsgebäude wird so ein in Alt/Bestand und Neu/Anbau aufgeteilter 2-geschossiger Komplex geschaffen mit einem Grundriss, welcher von der Formensprache, sowie vom Spiel des Lichts mit den Glasbausteinen lebt.
grundriss
Der Haupteingang sowohl für die Besucher als auch für die Arbeiter befindet sich im Schnittpunkt zwischen Alt- & Neubau. Dort betritt man eine Eingangshalle in welcher sich die Erschliessungszone für den ganzen Komplex befindet. Von dort aus wird man, v.a. als Besucher, direkt auf die Treppe zum Besucherbereich im Obergeschoss geleitet. Im Erdgeschoss hingegen befindet sich das Herzstück, die Werkstatt.
Zur Werkstatt gehört ein zentraler Ofen mit einem großen offenem Arbeitsbereich, in welchem jeder Arbeiter einen eigenen Tisch zugeteilt bekommt, um dort mit der Pfeife blasen zu können. Außerdem steht zentral ein Wasserbad, Werkzeug und Formen kühlen zu können. Im vorderen Teil steht, leicht versteckt und damit ruhiger gelegen, eine Tischbereiche mit Bunsenbrennern für detailliertere Arbeiten im Sitzen. Zum vorderen Teil gehört eine Kühlbahn um das fertige Glas kühlen zu können sowie ein Werkzeuglager.
Weiter nach oben hin befindet sich ein weiteres Lager für Materialien wie Sand oder Granulat, welches problemlos bspw. mit einem Hubwagen in die Werkstatt nach vorne transportiert werden kann. Es ist außerdem ein separater Sanitärbereich für die Arbeiter vorgesehen, zu welchem Spinte bzw. eine Garderobe gehören, ebenso ein WC sowie Duschmöglichkeiten. Im oberen Ausläufer liegt durch einen Gang unterhalb der Treppe erreichbar der Bürobereich, welcher die Buchhaltung, Entwerferplätze sowie ein kleines separates Besprechungszimmer beherbergt.
Das altes Wohnhaus wird neu zu einem Café bzw. einer Art Cafeteria umfunktioniert. Dazu gehört eine Küche sowie ein Sanitärbereich für Besucher. Außerdem wird die Haustechnik sowohl für das Café als auch für die Werkstatt untergebracht. Da v.a. der Ofen in den Werkstatt Tag und Nacht läuft und somit rund um die Uhr Arbeiter in der Werkstatt arbeiten werden, wird im Obergeschoss darüber ein Wohnhaus für die Arbeiter in den ursprünglichen Farben von Bruno Taut eingerichtet. Dazu gehören 3 Schlafzimmer, eine separate Küche mit Essbereich sowie Sanitärräume. Der Balkon kann ebenfalls von den Arbeitern als Außen- bzw. Aufenthaltsraum genutzt werden.
Oberhalb der Werkstatt liegt hingegen, wie bereits angedeutet, der öffentliche Besucherberiech mit Sitzmöglichkeiten, einem Sitzungsbereich für Veranstaltungen oder Workshops und einer Galerie. Dadurch wird aus der Werkstatt eine Schauwerkstatt. Zusätzlich fungiert das Obergeschoss als Ausstellungsbereich, welcher sich entlang der Glasbauwand durch an der Decke aufgehängte Tablare zeigt. Dort werden Produkte oder besondere Exponate der Werkstatt ausgestellt.
Generell ist der Komplex in 2 Bereiche aufgeteilt: Arbeiten und Wohnen. Wie auch bei Taut in Dienend und Bedient, allerdings werden hier die beiden Bereiche nicht getrennt oder voneinander untergeordnet, sondern miteinander verbunden und verschmolzen. Beispielsweise schafft die Galerie oberhalb der Werkstatt einen Fluss zwischen den Arbeitern und den Besuchern, ebenso wie die gemeinsame Cafeteria welche für eine bewusste Zusammenführung von Arbeitern und Besuchern sorgt.
Der gesamter Komplex soll, natürlich abgesehen vom Schlafbereich der Arbeiter, einen zusammenhängender und von allen Achsen verbundenen Raum ergeben. Das Haupteingangsportal ermöglicht nach Betreten einer Eingangshalle den Zugang zum Besucherbereich im Obergeschoss, ebenso zur Cafeteria und hypothetisch gesehen zur Werkstatt (respektive durch die Galerie). Der Nebeneingang am Wohngebäude (der ursprüngliche Haupteingang zum Wohnhaus von Bruno Taut) führt über einen Flur direkt zum Essensraum und von dort aus weiter zur Werkstatt zurück in die Eingangshalle.
materialität
Die Außenwände der Werkstatt werden zum gleichen Teil aus geziegelten Bestandswänden und aus den bereits beschriebenen Glasbausteinen gebildet. Diese in stehenden weißen Rahmen aufgeschichteten Elemente sorgen für die optimale Belichtung und damit für ein angenehmes Raumgefühl sowohl im komplett verglasten Besucherbereich als auch in der teilweise verglasten Werkstatt.
Im Inneren werden milchige Glasbausteine als Raumtrenner eingesetzt, bspw. als Trennwand zwischen den Arbeitsplätzen und dem Sitzungszimmer im Bürotrakt. Aber auch zur indirekten Beleuchtung des Ganges zwischen Eingangshalle und Cafeteria, wodurch die dunkle Wirkung des Gang zwar aufgehellt, aber dennoch weiterhin bestehen bleibt.
konstruktion
Beim Dach der Werkstatt handelt es sich um eine Kassettendecke mit offener Untersicht, über der ein als Warmdach ausgeführtes, „geschwungenes Flachdach“ liegt. Dabei sind die längs der Werkstatt liegenden Balken in der geschwungenen Dachform geschwungen, während die quer liegenden Balken waagrecht liegen. In die durch die Kreuzung der längs und quer liegenden Balken entstehenden, quadratischen Fächer werden zur Aussteifung OSB- Platten eingehängt. Diese werden so eingehängt, dass zwischen ihnen und der Dachdämmung Platz für eine Elektroinstallationsebene bleibt. Außerdem sind die Platten an Winkeln verschraubt, welche mit einem Gewinde versehen sind, sodass von unten jederzeit eine Platte herausgenommen werden kann, falls Reparaturen oder Installationsarbeiten nötig sein sollten. Die gesamte Deckenuntersicht ist schwarz bemalt, sodass die Konstruktion zwar sichtbar ist und durch die offenen Fächer ein sich nach oben erweiterndes Raumgefühl erzeugt, aber dennoch hinter den entscheidenden Merkmalen – der Grundrissform, der Materialisierung sowie der geschwungenen Dachform – zurücktritt.
Das Dach als solches ist, wie bereits erwähnt, als Warmdach ausgeführt und liegt direkt auf der Kassettendecke auf. Gedeckt ist das Dach mit mattgrauen Blechplatten.
Die Außenwände aus Glasbausteinen enden nach oben hin in der Attika und werden nach innen von einer umlaufenden schwarzen Holz- und Außen von einer mattgrauen Blechverkleidung verdeckt. Dies ermöglicht die Wirkung einer stufenlos geschwungenen Dachform, wobei die abgestuften Glasbausteine dennoch verdeckt sind.
Um möglichst alle, im Rahmen des neuen Grundrisses nutzbaren Wände und Bodenteile erhalten zu können, wird auf eine Dicke Dämmung der Bodenplatte sowie des Sockelbereichs verzichtet. Aufgrund der Glasbausteinaußenwände ist der Dämmwert der Gebäudehülle ohnehin eher schwach, außerdem heizt sich das Gebäude aufgrund der Abwärme des Ofens der Glasbläserwerkstatt auch im Winter ausreichend auf. Damit sich die Hitze im Sommer nicht in der Glasbläserwerkstatt staut, wurde durch die offene Galerie ein großer, offener Raum geschaffen, in dem die erwärmte Luft zirkulieren kann. Aufgrund dieser funktionsbedingten Gegebenheiten halten wir den Verzicht auf eine besser gedämmte Bodenplatte und Sockelbereich zugunsten des Erhalts von Bestandsbauteilen, für absolut vertretbar.
Ein ausführliches Portfolio zum Semesterprojekt „glass_drops“ kann auf Anfrage gern zugesandt werden.
projektdaten
name | glass_drops |
ort | dahlewitz, deutschland |
jahr | 2023/24 |
projektrahmen | entwurfsstudio raum und typologie, universität liechtenstein (4. semester) |
sonstiges | teamarbeit mit felix schmerold; betreuung durch alberto alessi und anna lohs |
Grundriss OG
Grundriss EG
Ansicht Ost
Ansicht Nord
Schnitt A-A
Schnitt B-B
Axonometrie s/w
Axonometrie des Tragwerks
Attika-Detail
Sockel-Detail
Axonometrie farbig
Visualisierungen
Eingangsbereich
Empfangsbereich
Galerie
Café; Blick zum Anbau
Büro